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Eine Operette für den Kiez: Was ansonsten in solchen „mobilalbanisch“ geprägten Camps geschieht - seltsame rituelle Aktionen, Filmdrehs, Straßenumzüge, alles mit ärmlichen selbstgebastelten oder umfunktionierten Materialien - muss auf Betrachter zunächst unverständlich wirken, etwa wie magische Gebräuche einer unbekannten Stammesgemeinschaft. Doch gerade deswegen entwickelt es auch einen Sog, der nach und nach immer neue Leute anzieht. So ist auch in Budapest ein heterogenes Netz aus Künstlern, Obdachlosen, Roma, Aktivisten und „gewöhnlichen“ Anwohnern entstanden, das mittlerweise eine eigene Zeitung herausgibt. (Sebastian Kirsch, Theater der Zeit 9/2013)

 

Mobile Albania (*2008, Gießen) ist ein wandelndes Gebiet, dessen Regelwerk je nach Ort, Zeit und Mitwirkenden neu entsteht. Mit einem alten Bus, einem Holzrollesel und anderen abwegigen Gefährten bereist es seit Straßen, Städte und Landstriche in Deutschland und Europa und entwickelt dreidimensionale begehbare Vorstellungen zwischen Theatern und Welt. Die Arbeitsformen haben sich aus dem Unterwegssein entwickelt: analog, improvisiert und einladend. Mobile Albania produziert spontane Versammlungen und entwickelt Inhalte aus Begegnungen. Die Arbeiten kreisen um die Frage, wie Mobilität und Beschleunigung zu gesellschaftlicher Segregation beitragen und was das für den gelebten politischen und sozialen Alltag in Kommunen und Städten bedeutet. Es entsteht ein eigenwilliges Territorium zwischen den verschiedensten sozialen, kommunalen und künstlerischen Institutionen, in das man hineinstolpern kann. Es geht darum, in einen Dialog mit dem Straßenraum zu treten und ihn im Sinne einer Straßenuniversität als kommunen Ort sowohl künstlerischen Arbeitens als auch des Wissensaustauschs und der Wissensproduktion ernst zu nehmen. 

Was ist möglich im Transitraum der Straße? In unserer Gesellschaft nimmt Mobilität immer mehr Raum ein,  mobile Arbeitende, legale und illegalisierte Migranten, Reisende und Flüchtlinge, alle sind unterwegs. Doch sind wir zunehmend anwesende Abwesende, die in vorübergehenden Siedlungen warten, arbeiten oder Urlaub machen und immer weniger am politischen Gemeinwesen teilnehmen. Die regionale Öffentlichkeit macht einem privatisierten und homogenisierten Stadtraum Platz. Auf der anderen Seite entstehen Inseln der Immobilität, neben der Autobahn, in der Warteschleife der Peripherie. 

Mobile Albania entwickelt immer wieder neue analoge Suchmaschinen, um die Welt anders kennenzulernen und zwischen analog und digital neue Formen der Begegnung zu initiieren. Mit einem alten Bus, einem Holzrollesel und anderen abwegigen Gefährten trägt Mobile Albania die Peripherie ins Zentrum und das Zentrum in die Peripherie. Als wanderndes Gebiet kommt es in Dörfer, Städte, auf Kreuzungen und Plätze, um mit verschiedensten Menschen analoge Netzwerke zu bilden. Mobile Albania produziert dreidimensionale, durchquerbare Vorstellungen, versehentliche mediale Großereignisse, eröffnet eine neue Radiostation, wird zur magischen Laterne, zieht mit Flötenprozessionen durch die Einkaufsmeile oder ersetzt eine existente Buslinie. Mobile Albania ist auf der Suche nach neuen Nachbar*innen und präsenten Präsident*innen, nach Möglichkeiten im Zwischenraum, ihrer Verfassung und ihrem Vollzug.

Es handelt sich bei Mobile Albania um ein Unternehmen zur Erforschung von Bewegung, in all ihren möglichen Varianten und gesellschaftlichen Bereichen. Mit alledem liegt ein deutlicher Akzent auf dem vermeintlich Kleinen, Unspektakulären, Sanften, dem dennoch oder gerade darum eine gewisse Störrigkeit und Hartnäckigkeit eignet - Dinge eben, die man für gewöhnlich dem Esel zuschreibt. Das Schöne ist dabei, dass das Nomadentum von Mobile Albania gerade nicht das Jet-Set-Nomadentum des flexiblen Menschen oder der „digitalen Boheme“ ist. Denn dafür steht viel zu sehr das Moment des Ärmlichen und notdürftig Improvisierten im Vordergrund, das „Hinterland“.  Sebastian Kirsch, Theater der Zeit 6/2012

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