Seit Ende März 2016 fährt der Transitbus quer durch Hessen und schlägt auf Plätzen, Straßen, in Dörfern und Städten seine neue Bushaltestelle auf. Er hält ein bis zwei Stunden vor Ort, wo er im Stillstand alle zehn Minuten je acht „Fahrgäste“ mit auf eine akustische Reise in den Transit nimmt:
Vorher stand er nicht da. Jetzt schon. Auch das Schild mit der Haltestelle ist neu. Er sieht etwas seltsam aus, aus der Zeit gefallen, aber auch einladend. Ein Bus, scheinbar. Ein überlanger Teppich führt aus seiner Türe hinaus auf den Asphalt. Seltsame Apparaturen hinter den Fenstern. Ein Samowar und eine Bank stehen davor. Woher kommt er? Wohin fährt er? Ab in den Transit. Der Hörspielbus wird gleichzeitig das Archiv der Besucher, die ihn durchkreuzen. Was ist möglich im Transitraum unserer Gesellschaft? Pendler, Geschäftsreisende, Migranten, Touristen, Flüchtlinge, alle sind unterwegs. Doch was passiert, wenn wir in diesen Bewegungen kurz innehalten? Wie sieht eine Begegnung im Zwischenraum aus? Bitte steigen Sie ein!
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Von und mit: Roland Siegwald, Katharina Stephan, Julia Blawert, Till Korfhage
Im Rahmen der Reihe "Transit bewegt RheinMain", gefördert durch: Kultufonds RheinMain und Kulturregion Frankfurt RheinMain, Flughafenstiftung Frankfurt
Im Rahmen der Reihe "Transit bewegt Rhein-Main"
seit April 2016
Pressestimmen:
Reisen, unterwegs sein, die Heimat verlassen. Freiwillig, unfreiwillig, gezwungenermaßen, auf der Suche nach einem besseren Leben. Erinnern an die Heimat, an Gefühle, an Ereignisse. Unterwegs sein zur Arbeit, täglich stundenlang fahren und im Stau stehen. Oder aber frei wie ein Vogel sein, der tatsächlich über alle Länder fliegen kann, ohne aus der Luft Grenzen wahrzunehmen. [...] In der Region leben fünf Millionen Menschen, manche länger, manche kürzer, viele auf der Durchreise. Allein auf dem Flughafen Frankfurt starten und landen mehr als 53 Millionen Passagiere jährlich. Rhein-Main ist ein Arbeitsort, ein Ort zum Leben, ein Zufluchts- oder Grenzort, ein Start- oder Haltepunkt, oder auch nur eine Zwischenstation. Dieses Thema nimmt auch die Künstlergruppe „Mobile Albania” auf und schickt einen Oldtimer-Bus auf Reisen. Er stand am Sonntag am „Anleger 511” in Eltville und sorgte für Aufsehen bei den Passanten. Wer stehenblieb, fand zunächst ein Haltestellenschild wie bei anderen Bussen auch – bei näherem Hinsehen stand dort aber „Innehaltestelle“. Innehalten und zuerst einmal ein Glas Tee aus dem Samowar trinken, einen Reisespruch aus einem nostalgischen Kaugummiautomaten ziehen – und darauf warten, dass man in den Bus gebeten wurde. Dort empfingen Till Korfhage und Camilla Vetters von „Mobile Albania” und schossen zuerst einmal ein Polaroidfoto von den „Fahrgästen“. Viele, die schon da waren, hatten ihre Bilder dort gelassen und mit einer Reisebotschaft beschriftet. Von oben baumelnde Kopfhörer durften aufgesetzt werden, und dann folgte ein zehnminütiges Hörspiel mit einer eindringlichen Textcollage. Mit Aussagen von Flüchtlingen, von Pendlern, von Zugvögeln, Touristen, Geschäftsreisenden. In Eltville, direkt am vorbeifließenden Rhein, auf dem viele Schiffe fahren, über den Flugzeuge fliegen und an dem viele Spaziergänger und Radfahrer unterwegs sind, kommt das „Transit“-Thema gut zur Geltung.
Wiesbadener Kurier, 23.08.2016
Welchen Sinn ergibt denn eine Bushaltestelle mitten im Kurpark? Die Spaziergänger sind verwundert und reiben sich die Augen: „Fährt hier jetzt etwa ein Linienbus ab?“, will eine Passantin wissen. „Hier ist doch gar keine Straße!“ Doch, Achtung: Eine Bushaltestelle ist das ja gar nicht, die da vorm Badehaus aufgebaut ist. Es ist eine „Innehaltestelle“, und der alte Bus, der dahinter steht, das ist kein gewöhnlicher Linienbus, sondern eine grandiose Wundermaschine. Katharina Stephan und Till Korfhage hatten den alten Reisebus im Alten Kurpark geparkt, dazu ein bisschen Tee gekocht und die Park-Besucher ins Innere des Fahrzeugs gelockt. Die beiden Theatermacher sind Mitglieder der Künstlergruppe „Mobile Albania“ und seit Ende März mit ihrem Oldtimer-Bus im gesamten Rhein-Main-Gebiet unterwegs. Die Aktion trägt den rätselhaften Titel „Transit bewegt Rhein-Main“ und ist so etwas wie Theater für alle Sinne: Ein irrer Trip durch Zeit und Raum. Der Bus hält in ausgewählten Städten ein bis zwei Stunden an hochfrequentierten Plätzen, wo er alle zehn Minuten je acht „Fahrgäste“ mit auf eine akustische Reise in den Transit nimmt. Also rein in den Bus, Kopfhörer anziehen und gucken, was in diesem alten Bus so alles passiert. Ein bisschen Rauschen im Ohr, eine Frauenstimme: „Willkommen“. Dazu: Das sanfte Brummen eines Motors. Langsam begreift man: Es geht hier um Bewegung. Ein Mann erzählt die Geschichte seiner Flucht. Ein anderer Erzähler berichtet von seinem Urlaub. Beide haben das gleiche geografische Ziel, doch ihre Welten sind komplett verschieden. Sätze fliegen durch die Luft: „Waren haben mehr Rechte als Menschen. Für Waren gibt es keine Grenzen“, heißt es da. Nach zehn Minuten ist das Hörspiel zu Ende, und der Zuhörer hat in so manches Leben reingeguckt. Katharina Stephan freut sich: „Genau darum geht es uns“, sagt sie. „Die Frage lautet doch: Was ist das für eine Gesellschaft, in der alle Menschen permanent unterwegs sind?“ Eine Antwort auf diese Frage liefern die Theatermacher in ihrem Hörspiel nicht. Was sie mit ihrem Trip leisten, das ist Sensibilisierung. Verlässt der Fahrgast den Bus und beobachtet die Menschen, die da durch die Straßen flitzen, auf den Boden gucken, mit dem Handy am Ohr über den Zebrastreifen sausen, da fühlt er sich entschleunigt und seltsam wachsam. Die Menschen sitzen mit einem zufriedenen Lächeln in den weichen Sitzen des Busses, manche schließen die Augen. Danach besteht Gesprächsbedarf. Und es ist wie am Ende einer Reise: Die schönsten Bilder entstehen im Kopf.
Höchster Kreisblatt, 30.06.2016